Die zukunftsgemäße Schule

Die zukunftsgemäße Schule

Expertenvortrag zum Auftakt in die Planungsphase

Die Weingartner Schule soll nicht nur um fehlende Klassenräume erweitert werden. Sie soll – aller Voraussicht nach in einem Neubau – visionäre Vorstellungen verwirklichen, wie Lernen heute vonstattengehen kann und was für eine Lern- und Lebensumgebung für Kinder und Jugendliche dazu erforderlich oder zumindest wünschenswert ist.

Um auf diesem Weg nicht von vornherein falsch abzubiegen, hat das Schulleitungsteam zum Auftakt in die Planungsphase einen Experten auf dem Gebiet der Schulhausbauberatung eingeladen. Rektorin Karin Sebold begrüßte dazu Egon Tegge, ehemaliger Schulleiter des Goethe-Gymnasiums in Hamburg. Anhand zahlreicher Beispiele aus ganz Deutschland zeigte Tegge ideale Verwirklichungen von zeitgemäßen pädagogischen Ansätzen im Gegensatz zu Neubauten, die dem gar nicht entsprachen und in denen die Zeit stehen geblieben schien.

Kinder und Jugendliche stehen im Mittelpunkt

Sein Grundsatz: Kinder haben andere Bedürfnisse als Erwachsene und Kinder stehen in der Schule im Mittelpunkt. Das Zauberwort heißt Strukturveränderung. Die Ausrichtung der Schüler nach vorne zum Lehrer ist passé. Der Wandel vollzieht sich vom Unterrichten zum Lernen. Dieses Umdenken setzte ein mit der Pisastudie aus dem Jahr 2000, in der das deutsche Schulsystem einen gehörigen Dämpfer erhielt. Die Rolle des Lehrers wandelte sich vom Lehrer zum Lernbegleiter, der Schüler wurde Teamarbeiter. Statt homogenes Stoff-Vermitteln wurde heterogenes Erarbeiten gefördert und mit diesem Umdenken wandelte sich auch die räumliche Ausstattung in ein passendes Lernarrangement.

Schule wird vom Lernort zum Lebensort

Schule wandelt sich vom Lernort zum Lebensort. Sie kommt weg von einzelnen Fächern hin zu Kompetenzerwerb, Eigenverantwortung und Individualisierung des Lernens. Der Rahmen dieses Prozesses ist die Ganztagesschule.

Pädagogische Formate werden in baulichen Konzepten realisiert

Der nächste Schritt war die Übertragung der neuen pädagogischen Formate in bauliche Konzepte: Weg von der Flurschule hin zu Differenzierungsräumen und Aktivitätszonen. Eine wichtige Bedingung sei, Transparenz der Arbeitsbeziehungen. Keine verschlossenen Türen, sondern offene Räume, jeder solle den anderen sehen können. Dazu diene die Schaffung von Clustern als Räume für Lerngruppen und eines Marktplatz für Teamarbeit und Begegnung. Cluster können beispielsweise nebeneinander oder im Viereck angeordnet um einen zentralen Marktplatz herum.  Wände mit viel Glas erlauben Durchsicht, Atriumfenster bringen Helligkeit. In solchen Räumen üben Kinder viele unterschiedliche Tätigkeiten, die alle zu Ergebnissen führen. Mehrfach zeigte der Schulbauberater, der eng mit Architekten zusammenarbeitet, bewegliche Tischgruppen, Regale auf Rollen, Sitzecken und immer wieder, Kinder, die mit ihrem Arbeitsmaterial auf der Erde sitzen. Das Credo war: weg von Konformität, hin zu Individualität, was aber nichts mit Chaos zu tun hat. Tegge zeigte Bilder von Schulen, in denen die Räume keine Türen haben und in denen dennoch konzentrierte Arbeitsatmosphäre herrscht. Einzig der Teamraum (früher Lehrerzimmer) hat eine Tür.

Das Mobiliar gestaltet eine Lernlandschaft

Die Lernlandschaft. Hier gibt es keine Wände, sondern Bereiche für Lernambiente, mal allein, mal zu zweit. Offene Lernlandschaften mit personalisierten Einzelarbeitsplätzen muten an wie ein Großraumbüro. Zu beachten sei, was Kinder wirklich brauchen. Hier forderte der Referent Empathie. Beispielsweise dürfen Garderobenhaken und -schränke nicht fehlen, in denen Schüler ihre Taschen und Materialien abstellen können. Ein weiteres Beispiel für ein Lernflächenkonzept war ein Altbau. Hier arbeiten Lehrer als kollektives Team für drei Klassen und teilen sich die Arbeit selbständig auf.

Die radikale Individualisierung

Das vierte Beispiel nannte er die „radikale Individualisierung“. Es war die Alemannenschule Wutöschingen, die der Weingartner Gemeinderat bereits besucht hatte, um sich ein Bild zu machen. In dieser Schule gibt es keine Jahrgänge, keine Klassen und keine Klassenarbeiten. Lernende arbeiten in Lernateliers, die allerdings durch Vorhänge als transparente kleine Räume geschaffen werden. Zur Kooperation dient der Marktplatz. Es gibt einen Inputraum, der ganz unterschiedlich groß sein kann und es gibt den Coachingraum. Hier hat jeder einzelne Schüler mit seinem Logbuch einmal wöchentlich einen Termin bei seinem Tutor. Dieser Raum müsse kleiner sein, um eine etwas intime Atmosphäre zu schaffen, in der auch mal etwas Persönliches besprochen werden könne. Bibliotheken fungieren als Selbstlernzentrum mit einzelnen Arbeitsplätzen, die auch internetfähig seien. Hier sei die Aufenthaltsqualität nicht zu vernachlässigen.

Lehrerarbeitsplätze nicht vernachlässigen

Im letzten Punkt kam er auf die Lehrerarbeitsplätze zu sprechen. Jeder Lehrer müsse in der Schule sinnvoll und ungestört arbeiten können. Nach der Arbeitsstättenverordnung stünden einer Lehrkraft 6 bis 8 Quadratmeter zu. Das zu erfüllen, sei ein Mindestmaß an Wertschätzung. Lehrer brauchen Ordnungssysteme und personalisierte Arbeitsplätze. Es müsse Teamarbeit mit einigen Kollegen genauso möglich sein wie große Konferenzen. Auch das müsse ein Neubau berücksichtigen. Und nicht zuletzt müssten Sozialbeziehungen gepflegt werden können.

Die Frage eines Zuhörers, ob Schüler und Lehrer in die Planung einbezogen werden, verneinte er. Die Schaffung der baulichen Struktur müsse Profis überlassen bleiben. Schüler und Lehrer seien hinterher gefragt, die Normen zu erarbeiten, die im Alltag gelten sollten.

Die Turmbergschule beginne jetzt in der Phase null. Je besser Schule, Gemeinde und Bauamt zusammenwirken, desto besser und schneller werden Ergebnisse erzielt. Eine Schule sei heutzutage ein Standortfaktor.

Zusammenfassung

Bürgermeister Eric Bänziger dankte dem Experten Tegge und fasste zusammen. Er nehme mit: Bauen orientiere sich am pädagogischen Konzept. Aus einem Lernort wird ein Lebensort. Schüler und Lehrer leben in der Schule. Schule verändert sich viel. Weingarten baue jetzt eine Hülle, die auch eine Veränderung des Innenlebens in zig Jahren noch tolerieren müsse. Die Ausstattung müsse Lehrenden und Lernenden angepasst sein.

Rektorin Karin Sebold sah vieles von dem was Egon Tegge angesprochen hatte, in der Turmbergschule bereits umgesetzt. Aber jetzt reichen die räumlichen Möglichkeiten nicht mehr aus. Der Turmbergschule eröffnen sich jetzt große Chancen, eine zukunftsfähige Schule zu werden, die viele Ansprüche verwirklichen kann:  demokratisch, digital, inklusiv und nachhaltig